Hattest du jemals das Gefühl, als Frau andere Erfahrungen in Bezug auf deine Gesundheit zu machen als ein Mann? Dann kamst du eventuell bereits mit der sogenannten Gender Health Gap in Berührung. In diesem Artikel erfährst du, was es mit dem Gender Health Gap auf sich hat und warum es wichtig ist, die Versorgungslücke in der Frauengesundheit zu schließen.
Was bedeutet “Gender Health Gap?”
Leider gibt es im Deutschen noch immer keine passende Übersetzung dafür, weshalb sich der englische Begriff mittlerweile durchgesetzt hat. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff der Gender Health Gap?
Der Gender Health Gap thematisiert Ungleichheiten im Gesundheitssystem in Bezug auf das biologische Geschlecht und umfasst dabei verschiedene Aspekte. Zum einen zeigen sich geschlechtsbedingte Unterschiede in der Häufigkeit bestimmter Krankheiten und deren Symptomen, die aufgrund des unterschiedlichen Körperbaus, Stoffwechsels und Hormonhaushalts entstehen können.1
Frauen können beispielsweise einem höheren Risiko für Autoimmunerkrankungen ausgesetzt sein, während Männer eher von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmten Krebsarten betroffen sind.2 Zudem wird Frauen – trotz der Beschreibung ähnlicher Beschwerden – häufiger eine psychische Erkrankung diagnostiziert als Männern.3 Auch leben Frauen zwar im Durchschnitt länger, verbringen aber etwa 25% mehr Zeit ihres Lebens mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.4 Hinzu kommt, dass Daten zur Gesundheit von Frauen und LGBTIQ*-Personen, beispielsweise im Bereich Menstruation, sexuelle Gesundheit oder Endometriose, oft fehlen.1,3
Auch kann sich das individuelle Gesundheitsverhalten, beispielsweise in der Gesundheitsvorsorge, unterscheiden. So sind Männer laut Studienergebnissen weniger geneigt, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen und verhalten sich oft gesundheitsgefährdender.6
Doch auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist von Bedeutung. Frauen können mit Barrieren wie finanziellen Hürden, sozialen Normen oder kulturellen Faktoren konfrontiert sein, die den Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung einschränken, Diagnosen verzögern oder Behandlungen erschweren.
Daher ist es wichtig in der Gesundheitsforschung anzuerkennen, dass Erkrankungen sich je nach Geschlecht unterscheiden können, um Chancengleichheit und eine adäquate Versorgung zu gewährleisten.4
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Wie kam es zum Gender Health Gap?
Jahrzehntelang konzentrierte sich die Gesundheitsforschung ausschließlich auf den männlichen Körper. Dadurch fehlen sowohl ein Vergleich als auch die Betrachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede, sodass für Frauen weniger wirksame Behandlungen verfügbar sind.4 Wie die Autoren Buvinic & Levine schreiben, “[…] fehlen Informationen über Aspekte des Lebens von Frauen”.7 Doch wieso sind Frauen in der Medizin so unterrepräsentiert?
Die Lücke an Daten beginnt bereits mit den ersten (Tier-)versuchen. Forscher:innen nutzen für Untersuchungen häufiger männliche Zellen und männliche Mäuse. Dieses Vorgehen setzt sich fort bis in die klinischen Studien, die größtenteils an männlichen Probanden durchgeführt werden.8 Frauen sind, wenn überhaupt, oft nur zu einem geringen Prozentsatz vertreten, wodurch gesundheitliche Belastungen von Frauen systematisch unterschätzt werden können.4 Hinzu kommt, dass deren Ergebnisse gemeinsam mit denen der Männer ausgewertet bzw. gleichgesetzt werden.
Manche Gendermediziner:innen behaupten sogar, dass Frauen in der Medizin als “kleine Männer” angesehen werden.9 Dies hat zur Folge, dass das wissenschaftliche Verständnis des weiblichen Körpers deutlich hinterherhinkt und zusätzliche Forschung – insbesondere für frauenspezifische Erkrankungen – benötigt wird.4
Des Weiteren kommen historische Prägungen hinzu: Zum einen galt die Medizin früher als eine männerdominierte Disziplin. Immerhin durften Frauen erst ab ca. 1900 Medizin studieren. Trotz dieser neu geschaffenen Möglichkeit waren sie mit vielen Vorurteilen, Diskriminierung und Widerstand konfrontiert.
Mittlerweile hat sich diese Verteilung gewandelt: Im Vergleich zu Männern nehmen immer mehr Frauen das Medizinstudium auf und die Anzahl an Ärztinnen steigt kontinuierlich an.10
Sex vs. Gender – wo sind Unterschiede?
Auch hier ist uns die englische Sprache wieder überlegen, denn hier wird ganz eindeutig zwischen “Sex” und “Gender” unterschieden. Übersetzungen unterscheiden zwischen dem biologischen Geschlecht (Sex) und dem sozialen Geschlecht (Gender).
Während das biologische Geschlecht durch Gene, Geschlechtschromosomen, Hormone, Geschlechtsorgane und -merkmale bestimmt wird, entsteht das soziale Geschlecht durch die zugeschriebene Geschlechterrolle bzw. -identität. Doch in der Medizin findet man üblicherweise ein binäres Geschlechtermodell (Mann/Frau) vor, bei dem Zusammenhänge zwischen dem biologischen und sozialen Geschlecht nicht beachtet werden. Dabei beeinflussen nicht nur biologische Faktoren wie Körperzusammensetzung, Größe, Organe und Hormone die Gesundheit, sondern auch die Geschlechterrolle, das Einkommen, das familiäre Umfeld und weitere Einflüsse.
Wo zeigt sich der Gender Health Gap in der Frauengesundheit?
Dass die Frauengesundheit weiter erforscht werden muss und Symptome bei verschiedenen Geschlechtern unterschiedlich sein können, zeigen auch diese Beispiele:
Herzinfarkt bei Frauen
Der sogenannte “Vernichtungsschmerz”, ein starker Schmerz in der Brust, der in den linken Arm ausstrahlt, ist das klassische Leitsymptom eines Herzinfarktes bei Männern. Frauen zeigen hingegen ganz andere, unspezifische Symptome, die sie nicht immer direkt einer Herzerkrankung zuordnen.11
Diese können Kurzatmigkeit, Atemnot, Rückenschmerzen, Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch, Schwindelgefühle oder auch unerklärliche Müdigkeit sein.12 Obwohl die Symptome so unterschiedlich sind, gilt bei beiden Geschlechtern eines: Schnelles Handeln ist erforderlich. Doch der weibliche Herzinfarkt wird aufgrund der unklaren Symptome und fehlender Aufklärung oft später erkannt und behandelt.9 Der Gender Health Gap kann also nicht nur in der Forschung, sondern vor allem in der praktischen medizinischen Versorgung ein großes Problem sein.
Dosierung von Medikamenten
Mittlerweile wurde festgestellt, dass Medikamente eine unterschiedliche Wirkung bei Männern und Frauen haben. Gründe dafür sind zum einen die geringere Körperoberfläche von Frauen sowie ein anderer Stoffwechsel. Für eine optimale Wirkung und sichere Anwendung ist also eine alternative Dosierung erforderlich.13 Um dies herauszufinden, bedarf es allerdings getrennter Untersuchungen mit Auswirkungen auf beide Geschlechter.
Endometrioseforschung
Endometriose ist eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, die sich jedoch systemisch auswirken kann. Sie wird trotz der weiten Verbreitung oft unterschätzt – und das, obwohl sie als schmerzhafte chronische Erkrankung das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann.14
Aufgrund der hohen Dunkelziffer an Betroffenen ist es schwer abzuschätzen, wie viele Frauen tatsächlich betroffen sind. Man geht jedoch von 10-15% aus. Zusätzlich dauert es durchschnittlich zehn Jahre, bis die Erkrankung diagnostiziert wird, da viele mit ihren Beschwerden erst nicht ernst genommen werden.15 Doch obwohl so viele Frauen von dieser chronischen Krankheit betroffen sind, steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.
Wäre sie möglicherweise besser erforscht, wenn auch Männer davon betroffen wären?
Gender Health Gap: Sind auch Männer betroffen?
Im ersten Moment scheint es so, als wäre nur die Frauengesundheit von fehlenden Daten betroffen. Doch auch Männer haben durch Gender Bias Nachteile. Denn bei “frauentypischen Erkrankungen” wie Osteoporose oder Depressionen werden sie plötzlich zu Benachteiligten. Laut dem Deutschen Endokrinologischen Versorgungszentrum erkrankt jede dritte Frau, aber auch jeder fünfte Mann an Osteoporose. Trotzdem gilt Osteoporose häufig noch als “Frauenkrankheit”. Bei Männern wird die Diagnose hingegen oft erst nach Knochenbrüchen gestellt.16
Benachteiligt sind Männer oft auch bei der Diagnose von Depressionen: Hier werden die “klassischen Symptome” vor allem durch die Untersuchung von Frauen definiert. So sind die Leitsymptome beispielsweise das Gefühl der Wertlosigkeit, Schlafstörungen und gedrückter Stimmung. Bei Männern zeigen sich die Depressionen dagegen häufig durch Wutattacken oder eine erhöhte Risikobereitschaft. Das führt dazu, dass Männer unterdiagnostiziert werden, während Frauen häufig überdiagnostiziert werden.9
Es ist sogar davon auszugehen, dass Ärztinnen und Ärzte, trotz gleicher Symptome, bei Frauen eher psychische Störungen diagnostizieren, während bei Männern von körperlichen Ursachen ausgegangen wird.15
Du siehst also, dass von einer geschlechtergerechten Medizin bzw. der Schließung des Gender Health Gap nicht nur die Frauen, sondern auch Männer profitieren würden.
Doch ganz besonders sind die Personen betroffen, die sich keinem Geschlecht zuordnen. Hier hat die Medizin eine Menge aufzuholen. Denn auch hier kommt es zu spezifischen Krankheitsphänomenen, da auch das soziale Geschlecht (Gender) Gesundheit und Krankheit beeinflusst.
Wie die Versorgungslücke schließen?
Dass es frauenspezifische Forschung braucht, um die Gesundheitslücke von Milliarden von Frauen zu schließen und ihnen ein gesünderes Leben zu ermöglichen, zeigt auch der Bericht des Weltgesundheitsforums. Laut diesem führt das Schließen der Gender Health Gap nicht nur zu einer besseren Gesundheitsversorgung von Frauen, sondern kann frühe Todesfälle, verlorene Lebensjahre durch Behinderungen und Erkrankungen verhindern und sogar die wirtschaftliche Produktivität eines Landes stark steigern.4
Die Lücke in der Erfassung geschlechtsspezifischer Daten, auch Gender Data Gap genannt, betrifft also nicht nur die Gesundheit, sondern kann auch Auswirkungen auf andere Lebensbereiche wie beispielsweise Arbeitsmärkte, soziale Strukturen oder die politische Gestaltung haben.17
Geschlechtsbezogene Chancengleichheit geht damit also alle Menschen etwas an. Aber wie kann der Gender Health Gap weiter abgebaut werden?
Mittlerweile hat sich sowohl in der Forschung als auch in der Praxis einiges getan. So ist beispielsweise an einigen Universitäten wie der Charité in Berlin, sowie an den Universitäten in Bielefeld und Zürich ein Lehrstuhl für geschlechtersensible Medizin entstanden. Dieser neue Fachbereich der “Gendermedizin” befasst sich mit den Unterschieden zwischen verschiedenen Geschlechtern und möchte die Wissenslücken um genderspezifische Forschung schließen.8 Obwohl dieser Zweig noch in den Kinderschuhen steckt, bekommt der Gender Health Gap in der Forschung endlich mehr Aufmerksamkeit.
Aber nicht nur die Forschung steht vor der Aufgabe, die besonderen Bedürfnisse und Erkrankungen von Frauen und auch non-binären Personen zu analysieren, sondern auch die Gesellschaft und das Gesundheitssystem müssen zukünftig geschlechtsspezifische Unterschiede anerkennen und ein umfassenderes Verständnis für deren Bedürfnisse schaffen.
Wir von FEMNA haben uns zur Aufgabe gemacht, den Gender Health Gap zu schließen und Frauen die benötigte Aufmerksamkeit und Aufklärung zu bieten, um sich aktiv für ihre Gesundheit einzusetzen. Deshalb haben wir speziell auf die Frauengesundheit abgestimmte Produkte entwickelt und beraten Frauen ganzheitlich und individuell abgestimmt auf ihre Beschwerden und Bedürfnisse.
Quellen
1. Galea L, Parekh RS. Ending the neglect of women’s health in research. BMJ. 2023;381:1303. doi:10.1136/bmj.p1303. Accessed September 24, 2024. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37308180/.
2. Dorak MT, Karpuzoglu E. Gender differences in cancer susceptibility: an inadequately addressed issue. Front Genet. 2012;3:268. doi:10.3389/fgene.2012.00268.
3. Gaiswinkler S, Antony D, Delcour J, Pfabigan J, Pichler M, Wahl A. Frauengesundheitsbericht 2022. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK); 2023.
4. World Economic Forum. Closing the Women’s Health Gap: A $1 Trillion Opportunity to Improve Lives and Economies. Published January 2024. Accessed September 24, 2024. https://www.weforum.org/reports/closing-the-women-s-health-gap-a-1-trillion-opportunity-to-improve-lives-and-economies
5. Thompson AE, Anisimowicz Y, Miedema B, et al. The influence of gender and other patient characteristics on health care-seeking behaviour: a QUALICOPC study. BMC Fam Pract. 2016;17:38. doi:10.1186/s12875-016-0440-0.
6. Robert Koch-Institut. Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland – Wichtige Fakten auf einen Blick. Published 2023. Accessed September 24, 2024. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Geschlecht_Gesundheit/
FP_frauengesundheitsbericht.html.
7. Buvinic M, Levine R. Closing the gender data gap. Significance. 2016;13(2):34-37. doi:10.1111/j.1740-9713.2016.00899.x.
8. Regitz-Zagrosek V, Seeland U. Sex and gender differences in clinical medicine. Handbook of Experimental Pharmacology. 2012;(214):3-22. doi:10.1007/978-3-642-30726-3_1.
9. Thomas A, Kautzky-Willer A. Gender Medizin. Published 2015. Accessed September 24, 2024. https://www.gender-glossar.de/post/gender-medizin.
10. Hibbeler B, Korzilius H. Arztberuf: Die Medizin wird weiblich. Deutsches Ärzteblatt. 2008;105(12).
11. Biddle C, Fallavollita JA, Homish GG, Giovino GA, Orom H. Gender differences in symptom misattribution for coronary heart disease symptoms and intentions to seek health care. Women Health. 2019;60(4):367-381. doi:10.1080/03630242.2019.1643817.
12. An L, Li W, Shi H, Zhou X, Liu X, Wang H, Liu J, Fan S. Gender difference of symptoms of acute coronary syndrome among Chinese patients: a cross-sectional study. Eur J Cardiovasc Nurs. 2018;18(3):179-186. doi:10.1177/1474515118820485.
13. Carrasco BO, Pérez Pérez A, Menasalvas Ruiz E, Caraça-Valente Hernández JP, Prieto Santamaría L, Rodríguez-González A. Drug repositioning with gender perspective focused on adverse drug reactions. 2022 IEEE 35th International Symposium on Computer-Based Medical Systems (CBMS). 2022;1:426-431. doi:10.1109/CBMS55023.2022.00084.
14. Yuksel Ozgor B, Azamat S, Berkay E, Türeli D, Ozdemir I, Topaloğlu S, Kocaturk A. Epidemiology of Endometriosis Awareness in Turkey. Cureus. 2023;15(4).doi:10.7759/cureus.37536.
15. AWMF. 015/045 – Diagnostik und Therapie der Endometriose. Published 2020. Accessed September 24, 2024. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-045.
16. Deutsches Endokrinologisches Versorgungszentrum. Osteoporose beim Mann. Accessed September 24, 2024. https://www.endokrinologen.de/osteoporose-mann.php.
17. Castellano R, Rocca A. On the unexplained causes of the gender gap in the labour market. Int J Soc Econ. 2020;47(7):913-932. doi:10.1108/ijse-02-2018-0074.